Wie wir sprechen, so sprechen auch unsere Romanfiguren. Oder? Weit gefehlt. Der perfekte Dialog in einem Roman bildet nicht die Realität ab. Stattdessen erzeugt er Konflikte, verleiht den Figuren Persönlichkeit, treibt die Handlung voran. Hier zeige ich euch, worauf es ankommt.
Charaktere entwickeln
Dialoge nur für sich zu betrachten dürfte gerade bei längeren Texten selten sinnvoll sein (bei Kurzgeschichten ist das etwas anderes). Denn jedes Wort kommt schließlich aus dem Mund einer Person und es sollte plausibel sein, dass gerade diese Person so spricht. Bevor wir also über Dialoge reden, sollten wir uns mit den Figuren beschäftigen. Wie ihr Charaktere entwickeln könnt, habe ich hier vorgestellt: https://www.kornelia-schmid.de/post/fiktive-charaktere-entwickeln
Klingen Dialoge hölzern, hat das meistens den Grund, dass auch die Figuren hölzern sind. Sie sind Schablonen, definieren sich in erster Linie über ihren äußeren Attribute und einige Eigenschaften, die ihnen ihr:e Schöpfer:in zugedacht hat. Doch solche Charaktere sind nicht individuell und schon gar nicht sind sie lebendig. Wie soll dann ein lebendiger Text aus ihren Mündern kommen?
Konflikte erzeugen
Interessante Figuren mit Ecken und Kanten treten fast automatisch in Konflikt miteinander. Wichtig ist es dennoch zu verstehen, dass gute Dialoge selten der Vermittlung von Informationen dienen (dann wären sie im schlimmsten Fall nur Infodumps, also Passagen, die ohne Handlung und Entwicklung auskommen und einen Text allzu schnell ruinieren können). Gute Dialoge tragen zur Handlung bei – indem sie Konflikte erzeugen.
In der Realität sollten sich Menschen bemühen, freundlich und respektvoll miteinander umzugehen. In der Fiktion ist freundliche und respektvolle Kommunikation sterbenslangweilig. Viel spannender ist es doch, wenn unterschiedliche Bedürfnisse aufeinanderprallen, versteckte Motivationen sichtbar werden, Zuneigung oder Abneigung entsteht, wunde Punkte ans Licht kommen ...
Ein Beispiel aus meinem Debütroman "Das Licht aus dem Nebel":
Skarta räusperte sich. „Wenn Ihr gestattet, würde ich mich gerne einen Moment entfernen, um ...“
„Zum Pinkeln oder was?“ Kahragon zuckte mit den Schultern. „In Ordnung, schließlich bin ich kein Unmensch. Ich komme mit.“
Skarta starrte ihn an. „Das kann nicht Euer Ernst sein.“
„Ich bin immer ernst.“ Kahragon grinste. „Also vorwärts. Wir sind hier nicht so zimperlich wie in Kraburg.“
„Die kraburgische Zimperlichkeit ist ein kostbares Gut“, murmelte Skarta und stieg über einige Sträucher hinweg. Die Äste kratzten an ihren Knöcheln.
„Macht ist ein kostbares Gut“, sagte Kahragon hinter ihr. „Aber jemand, dem von klein auf der Hintern gepudert wird, weiß das wohl nicht zu schätzen.“
Nachdem er ihr Gesicht nicht sehen konnte, gestattete sie sich ein Augenrollen. „Ich wurde genauso wenig adelig geboren wie Ihr.“
„Ach nein?“ Kahragons Stimme klang ehrlich erstaunt. „Na dann erzähl mal.“
Nun, in dieser Textpassage hat Skarta offenbar vollkommen andere Vorstellungen von adäquatem Verhalten als Eron Kahragon. Ihre Kommunikationsstrategie ist komplett unterschiedlich, auch ihr Vokabular. Wir sehen außerdem, dass Skarta Eron mit "Ihr" anspricht, er sie umgekehrt aber mit "Du". Darin verbirgt sich ein Machtgefälle, das der Dialog ebenfalls sichtbar macht. Gegenseitige Unterstellungen verschärfen die Dynamik.
Vielleicht werfen wir auch einen Blick auf den folgenden Roman "Das Licht im Sand". Dieser Dialog findet zwischen zwei eigentlich gleichberechtigten Herrschern statt:
„Seid Ihr zu einem Entschluss gekommen, was meinen Vorschlag betrifft?“, fragte Merto.
„Ihr habt eine Reihe unverschämter Vorschläge gemacht“, sagte Aristedes.
„Bei Eurem Ruf bin ich davon ausgegangen, dass Ihr mangelndes Taktgefühl abkönntet. Sollte ich Eure Gefühle verletzt haben, entschuldige ich mich jedoch“, sagte Merto.
„Oh, ich würde Euch nicht die Gelegenheit rauben, das zu tun, worin Ihr am besten seid. Also, nur zu“, erwiderte der Kaiser.
Merto startet mit einer höflichen Phrase – Rako Aristedes hat jedoch offensichtlich kein Interesse daran, höflich zu sein und schmettert sie ab, mit einer beleidigenden Unterstellung. Merto ändert daraufhin ebenfalls seine Kommunikationsstrategie und kontert, indem er Rako übertriebene Emotionalität unterstellt und ihn dadurch als wenig ernstzunehmender Verhandlungspartner einordnet. Rako lässt das nicht auf sich sitzen und unterstellt Merto seinerseits Unterwürfigkeit. Das kann nun noch ein Weilchen so weitergehen – mit jeder Stufe gehen sich die beiden mehr an die Kehle.
Erwartungen brechen
Konflikte treiben die Handlung voran. Doch auch ohne Eskaltion gibt es Möglichkeiten, einen Dialog für die Leser:innen interessant zu gestalten. Dazu gehört, mit den Erwartungen der Rezipient:innen zu spielen und sie zu brechen.
Ein weiteres Beispiel aus "Das Licht aus dem Nebel":
Skarta räusperte sich. „Ich verstehe natürlich, dass Euch die Reise zu sehr erschöpft hat, um jetzt zu verhandeln, aber –“
Was würden wir erwarten, dass der König darauf sagt? Wahrscheinlich so etwas wie: "Das war sie in der Tat. Verschieben wir die Verhandlung auf später." Was sagt er stattdessen:
„Halt die Klappe“, sagte der König.
Skarta presste die Lippen aufeinander und stellte sich vor, wie er sich an die Kehle fasste, würgte und langsam erstickte. Qualvoll und wohltuend – für sie.
„Hier wären wir.“ Er öffnete eine Tür.
Zögerlich spähte Skarta hinein. Die Leere des Raumes war erschlagend. Kein Bett. Nicht einmal eine Matte. „Das kann nicht Euer Ernst sein“, murmelte sie.
Was würden wir erwarten? "Doch, das ist mein Ernst." Oder so etwas wie: "Das hast du dir selbst zuzuschreiben."
Kahragon grinste. „Gefällt’s dir nicht?“
„Und wenn ich ...“, Skarta senkte die Stimme, „mal muss?“
Er zuckte mit den Schultern. „Dann suchst du dir die Ecke aus, die dir am besten dafür geeignet erscheint.“
Zornig funkelte sie ihn an. „Macht es Euch Spaß, mich zu quälen?“
Was würde man normalerweise darauf sagen? "Aber nicht doch. Das ist keineswegs meine Absicht." Oder: "Es tut mir leid, dass du das so empfindest." Auf jeden Fall also ein Widerlegen dieser Unterstellung. Eron tickt da aber anders:
Sein Grinsen wurde breiter. „Ein wenig. Dabei bin ich nicht einmal richtig in Fahrt gekommen, was das betrifft.“
Skarta schnaubte. „Worte sind leicht gesprochen, für jemanden, der noch nie selbst hinter einer solchen Tür eingesperrt war.“
Natürlich könnte er sagen: "Doch, ich weiß sehr genau, wie sich das anfühlt." Oder: "Es sind nicht nur Worte. Ich kenne mich besser aus, als du denkst." Stattdessen gibt er eine Retourkutsche:
„Das erklärt, warum du so viel quatscht.“
Dass die Erwartungen, die Leser:innen an eine bestimmte Kommunikation haben, eben nicht erfüllt werden, dass Konventionen gebrochen werden, erzeugt oft außerdem Komik. Und das ist ein weiteres Argument, warum man diese Technik unbedingt ausprobieren sollte.
Anspielungen
Wenn in "Das Licht aus dem Nebel" Eron und Lorror das erste Mal richtig aufeinandertreffen, wird schnell klar, dass es zwischen den beiden eine Vorgeschichte gibt. Die erfahren die Leser:innen jedoch nicht (ja, das ist gemein, ich weiß). Einerseits entsteht so ein Interpretationsspielraum, der die Rezipient:innen selbst aktiv werden lässt. Anderseits können Leser:innen hoffen, dass es im Laufe des Romans noch konkrete Antworten gibt – die Spannung bleibt also über den weiteren Handlungverlauf erhalten.
Zum Text:
„Blauer Bart“, bemerkte Eron. „Du hängst wirklich an Bewährtem, nicht wahr? Oder ist es so, dass Bewährtes an dir hängt?“
„Oh, ich habe die Rezeptur meiner Farbe verbessert. Streiche sie mir jetzt auch in die Haare.“ Tatsächlich wirkten die Strähnen inmitten des Graus unwahrscheinlich farbenfroh. Ansonsten trug er eine Art Mantel, diesmal in giftgrün und schlammverkrustete Stiefel, die ihm bis zu den Knien reichten. Kein Metall, nur einen einfachen Dolch am Gürtel, dessen Griff rostig wirkte. „Und du, immer noch die alte Rüstung?“
„Ein wenig aufpoliert“, räumte Eron ein und klopfte sich auf den schwarzen Brustpanzer. Tatsächlich hatte ihm die Rüstung gute Dienste in der Vergangenheit geleistet. Und damit meinte er nicht die Schlacht um Flusswacht.
Lorror lächelte. „Macht unbeweglich, sowas.“
„Ach, meinst du? Unsere Schmiede sind professionell. Regeln mit Magie das Gewicht, die Biegsamkeit und so ...“
„Warum trägst du dann das alte Teil?“
„Auch alte Teile können manchmal nützlich sein. Das solltest du doch am besten wissen.“
„Schön gesagt.“ Lorror prostete ihm zu.
Bonus: Individuelle Sprache
Jeder Figur ihre eigene individuelle Note beim Sprechen zu geben, ist kein Muss, um die Romanhandlung voranzutreiben und Spannung zu erzeugen. Aber natürlich ist es ein schöner Bonus, die Figuren dadurch zu charakterisieren, dass sie unterschiedliche Vokabeln und Satzkonstruktionen verwenden. Mein Paradebeispiel Eron Kahragon durfte das hier schon ein paarmal vorführen. Denn Skarta würde Ausdrücke wie "Pinkeln" oder "Hintern pudern" selbstverständlich nicht in den Mund nehmen – ganz im Gegensatz zum König von Sasberg.
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